"Spiele sind ein gutes Werkzeug für die Bürgerbeteiligung"
Für Forscher ist es oft schwierig, viele Bürger in ihr Projekt einzubeziehen. Steffen Wehkamp und Mathias Lanezki haben dieses Problem spielerisch gelöst: Ihr Projekt ENaQ, bei dem ein energetisches Nachbarschaftsquartier entsteht, lässt sich auf einem Spielbrett simulieren. So erreichen sie vor allem junge Anwohner erfolgreich.
Steffen Wehkamp und Mathias Lanezki sind als Ingenieure eigentlich in der technischen Welt zu Hause. Für das Institut für Informatik OFFIS, das die wissenschaftliche Leitung von ENaQ innehat, unterstützen sie die Projektleitung und kümmern sich um die wissenschaftliche Begleitung der Geschäftsmodellentwicklung. Ein besonderer Teil von ENaQ ist der Partizipationsprozess. Hier werden Bürgerinnen und Bürger in die Entwicklung eines neuen Quartierskonzeptes eingebunden, bei dem Energie aus der Nachbarschaft kommt, Speicher, Versorgungsnetze und Sektorenkopplung eine Rolle spielen und ein intelligentes Last- und Beschaffungsmanagement eingeführt wird. (Mehr Informationen zum Projekt ENaQ auf Energiewendebauen.) Dass die beiden am Institut für Informatik ein aufwendiges und sogar analoges Spiel entwickeln würden, war für beide am Anfang nicht abzusehen.
Bürgerinnen und Bürger in ein Forschungsprojekt einzubinden kann sich als schwierige Aufgabe herausstellen. Wie sind Sie diese Aufgabe angegangen?
Wehkamp: Uns fehlte ein Medium, mit dem wir den Austausch unter Bürger_innen verstärken sowie ihre Gedanken erfahren konnten. Gibt es zum Beispiel Ängste vor Wasserstoff im Quartier? Oder allgemeiner: Gibt es Probleme, die wir noch gar nicht gesehen haben? Oder schaffen wir durch neue Technologien Schwierigkeiten bei AnwohnerInnen, welche wir bisher nicht absehen konnten? Welche Sprache nutzen wir überhaupt, wie werden wir wahrgenommen und wie können wir die Akzeptanz steigern? Es ging also wirklich um einen Austausch.
Lanezki: Wir haben dann auf einem Workshop ein Spiel gespielt, Changing the Game, das den Wandel eines europäischen Energiesystems simuliert. So etwas wollten wir auch haben, nur eben für unser Quartier.
Wehkamp: Wir haben zunächst ein kleines Kartenspiel entwickelt. Dann haben wir uns mehr damit beschäftigt, mehr Rückmeldungen eingeholt und gemerkt, dass das Projekt größer wird. Und auf einmal entstand ein Brettspiel.
Ein Spiel klingt erst einmal mehr nach Spaß als nach harter Arbeit. Ist das der Vorteil des Formats?
Wehkamp: Trocken gesagt: Aus Projektsicht ist das Ziel des Lernspieles, ein Werkzeug für die Bürgerbeteiligung zu haben. Aber wir haben schnell gesehen: So erreichen wir verschiedene Altersgruppen. Und zwar nicht nur mit einer Botschaft, sondern auf vielerlei Ebenen: Wir können erklären, was ENaQ ist. Viele Oldenburger_innen haben von dem Projekt schon einmal gehört, aber wissen nichts Genaues. Dann haben wir auch für jede Technologie eine Spielkarte. Wer sich diese bei öffentlichen Veranstaltungen kurz anschaut, bekommt schon einen Eindruck von der technologischen Vielfalt, die so ein Projekt mit sich bringen kann.
Und wenn man es dann spielt, wird es konkret: Was ist eine Wärmepumpe, was ist ein Elektrolyseur, und lohnt sich das bei mir überhaupt? Wie betrifft mich die Volatilität der Erneuerbaren? Mathias und ich wollten diese Komplexität und vor allem den Bedarf an Austausch erlebbar machen.
"Wer hier nur auf eine Karte setzt, der erreicht seine Ziele nicht"
Lanezki: Man fängt an in einem System zu denken. So vermitteln wir Wissen, während die Spieler_innen Spaß haben. Und wir bekommen weitere Rückmeldungen. Dieser partizipative Prozess hat auch starken Einfluss auf die Entwicklung des Spiels gehabt.
Wie läuft das Spiel nun genau ab?
Wehkamp: Ziel des Spiels ist, in drei Phasen die Ziele der Bundesregierung für 2030, 2040 oder 2050 zu erreichen. In den Bereichen der CO2-Emissionen, des Energieverbrauchs insgesamt und der Mobilität noch einmal explizit. Dabei spielen drei bis sechs Spieler_innen über zweieinhalb Stunden, also schon lange. Es gibt auch eine Moderation, weil viele komplexe Zusammenhänge vorkommen.
Man baut das Quartier auf, bekommt Karten, die kosten aber Geld und verbrauchen Ressourcen. Weitere Karten senken den Verbrauch, verändern die Kosten, die Emissionen oder den Komfort. Dabei gibt es erste Erkenntnisse. Die Wärmeversorgung kann günstiger werden, wenn man die NachbarInnen ins Boot holt. Das beliebte Wasserstoffauto ist im Quartier gar nicht so einfach umzusetzen. Die Spieler_innen sind dann oft überrascht, wie viele Maßnahmen es braucht. Wer hier nur auf eine Karte setzt, der erreicht seine Ziele nicht. Erst das Umlegen vieler Hebel und der Aufbau eines komplexeren Systems führen zu guten Ergebnissen.
"Man kann verschiedene Wissensebenen mitnehmen"
So ein komplexes Spiel richtet sich aber nicht an Kinder, oder?
Lanezki: Tatsächlich haben wir es auch mit Schüler_innen ausprobiert, aber es ist eher etwas für Ältere. Dabei ist das Interesse durch Fridays for Future groß und die Lehrer_innen wissen nicht immer, wie sie da Inhalte der Energiewende richtig vermitteln können. Ich habe es auch mit Gruppen gespielt, in der die Jüngsten 16 Jahre alt waren. Die haben das erstaunlich schnell begriffen und selbstständig gespielt, auch wenn die Diskussionen natürlich anders als bei fachlichen Workshops laufen. Trotzdem: Wir haben hier eine sehr junge Zielgruppe erreicht, da freuen wir uns natürlich.
Wehkamp: Man kann verschiedene Wissensebenen mitnehmen. SchülerInnen sehen: Erneuerbare Energien steigern, CO2 reduzieren, das ist beides gut. Und die Energietürme, die die Spieler_innen bauen können, visualisieren das ja auch. Schüler_innen fragen dann, was ist der Unterschied zwischen Photovoltaik und Solarthermie. ExpertInnen diskutieren Leistungskennzahlen, etwa von Wärmepumpen. Aber wir wurden auch von einer Lehrerin angesprochen, die das Spiel mit 13-Jährigen spielen will. Da ist dann etwas Vorarbeit im Unterricht notwendig. Was sind Leistung, Arbeit und Energie, warum braucht eine Gastherme eine andere Menge an Energie als eine Wärmepumpe, um dieselbe Wärme bereitstellen zu können. Solche Themen. Und die Schüler_innen sind interessiert.
"Lernspiele sind als Werkzeug für die Bürgerbeteiligung gut geeignet"
Und was konntet ihr aus den bisherigen Rückmeldungen mitnehmen?
Wehkamp: Die meisten Spieler_innen fanden es lehrreich und unterhaltsam. Dabei waren Student_innen bei den öffentlichen Veranstaltungen der Hauptpersonenkreis. Es hat uns überrascht, wie viele Student_innen sich nachhaltiges Wohnen wünschen und den Gedanken der gemeinschaftlichen Energieversorgung sogar attraktiv finden. Neben Rückmeldungen von privaten Teilnehmer_innen haben wir auch überraschend Anfragen seitens Stadtplanung, Wissenschaft und Umweltverbänden erhalten. Für uns natürlich auch positives Feedback.
Lanezki: Geplant ist auch ein Beitrag zur Wissenschaft, indem die gemachten Erfahrungen aus dem partizipativen Vorgehen einfließen. Die Methode zur Entwicklung eines guten Lernspiels für die Energiewende, das Wissen vermittelt und Spaß macht, ist für uns wichtig. Davon können auch künftige Forschungsprojekte profitieren, gerade wenn sie komplexes Wissen vermitteln und den Austausch mit Menschen wollen. Daher arbeiten wir an einer wissenschaftlichen Veröffentlichung zu dem Lernspiel. Wir können schon jetzt das Fazit ziehen: Lernspiele sind als Werkzeug für die Bürgerbeteiligung gut geeignet.
Wie kommen Interessierte an eine Ausgabe des Spiels?
Wehkamp: Wir stellen alle Materialen auf unserer Projekthomepage gratis zur Verfügung. Damit kann man sich das Spiel selber zusammenstellen oder sogar weiterentwickeln. Aufgrund der Anfragen haben wir uns auch dazu entschieden ein paar Exemplare von dem Spiel zu erstellen. Diese sind zum Selbstkostenpreis von 199 Euro erhältlich.
Das Interview führte Peter Jung, Wissenschaftsjournalist beim Projektträger Jülich. Changing the Game – Neighbourhood Edition entstand im Rahmen des Projektes ENaQ.