„Die Energiewende ist mehr als eine technische Herausforderung“
Über 100 Forschende haben an der Helmholtz Energy Transition Roadmap mitgearbeitet, die notwendige Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität aufzeigt und damit die Forschung erleichtern will. Professor Robert Pitz-Paal ist einer der Hauptautoren und gibt im Interview Einblicke in die Arbeit.
Zum Start: Was ist die Helmholtz Energy Transition Roadmap und warum haben Sie an ihr mitgewirkt?
Die Helmholtz Energy Transition Roadmap (HETR) zeigt auf, wie die Energieforschung in allen Disziplinen eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems unterstützen kann. Dies beginnt mit der Betrachtung von Energieszenarien, die mögliche Transformationspfade zur Klimaneutralität bis 2045 - in Deutschland - und 2050 - in der EU und global sichtbar machen. Anschließend haben wir analysiert, welche übergeordneten Hemmnisse entlang dieser Pfade bestehen. Darauf aufbauend stellt die HETR dar, welche Forschungs- und Innovationsfragen gelöst werden müssen, um diese Hürden zu überwinden. Da ich als Direktor des DLR-Instituts für Solarforschung selbst Teil der Helmholtz-Gemeinschaft bin, war es mir wichtig, gemeinsam mit meinen Kollegen ein Gesamtbild der Herausforderungen zu entwickeln, das uns gemeinsam hilft, die Forschung auf die relevantesten Aspekte auszurichten.
Professor Robert Pitz-Paal ist einer der beiden Direktoren des Solarforschungsinstituts des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR), der größten Forschungseinrichtung in Deutschland auf dem Gebiet der konzentrierenden Solartechnik. Diese Position ist mit einer Professur an der RWTH Aachen verbunden. Seine Forschungsschwerpunkte sind die technische Analyse und Optimierung von konzentrierenden Solarsystemen zur Strom- und Brennstofferzeugung. Viele Innovationen aus seinem Institut finden sich heute in kommerziellen solarthermischen Kraftwerken wieder. Pitz-Paal ist Mitherausgeber des Journal of Solar Energy, Mitglied des Vorstands des europäischen Industrieverbands European Solar Thermal Electricity Association (ESTELA) und seit 2023 berufenes Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). 2017 erhielt er den Farrington-Daniels-Award der International Energy Society und 2020 den Frank Kreith Energy Award der American Society of Mechanical Engineers (ASME). In den Forschungsnetzwerken Energie engagiert er sich als Sprecher der Arbeitsgruppe Solarthermische Kraftwerke und thermische Speicher im Netzwerk Erneuerbare Energien.
Die Roadmap geht von unterschiedlichen Energieszenarien aus und hat Hürden zur Klimaneutralität identifiziert, welche Deutschland bereits in gut 20 Jahren erreichen will – wie trägt die Energieforschung dazu bei?
Wir fangen nicht erst heute an zu forschen, sondern koordinieren seit mehr als 20 Jahren die Aktivitäten der Helmholtz-Forschungszentren in der Programm-orientierten Förderung. Helmholtz Energy liefert kontinuierlich für die Energiewende relevante Ergebnisse und Technologien, die in die Anwendung transferiert werden und bereits wirken. Umso wichtiger ist es, immer wieder zu überprüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind und uns auf die richtigen Fragestellungen konzentrieren. Die HETR ist daher als kontinuierlicher Prozess angelegt, der regelmäßig aktualisiert wird.
Die Helmholtz Energy Transition Roadmap in Kürze
Die Helmholtz Energy Transition Roadmap (HETR) ist ein wissenschafts- und technologieorientierter Fahrplan für die Energieforschung. Sie will dem Helmholtz-Forschungsbereich Energie eine strategische Orientierung geben, insbesondere während des Planungsprozesses für die kommende Förderperiode. Zudem soll sie auch als Informationsgrundlage für externe Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik dienen. Die Roadmap wurde in einem dreijährigen Prozess, an dem über 100 Wissenschaftler beteiligt waren, entwickelt.
Das vollständige Dokument finden Sie auf der Website von Helmholtz Energy.
Wo sehen Sie die größten Hebel für die europäische und vor allem deutsche Energieforschung, um den Weg zur Klimaneutralität zu beschleunigen? Und was kann die deutsche Forschungslandschaft darüber hinaus noch aus der Roadmap mitnehmen?
Es gibt wohl nicht den einen Hebel, sondern wir müssen in allen Bereichen – System, Strom, Wärme, Kraftstoffe, Kreislaufwirtschaft und Carbon Management – forschen, um wettbewerbsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Lösungen vorzubereiten. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Energiewende nicht nur als technische Herausforderung verstanden werden darf, sondern immer die komplexen Wechselwirkungen zwischen Technik, Umwelt, Märkten, Institutionen und gesellschaftlichem Verhalten berücksichtigt werden müssen. Deshalb beziehen wir nicht nur Naturwissenschaftler und Ingenieure in die Roadmap-Erstellung ein.
Sie sind selbst nicht nur in der Helmholtz-Gemeinschaft, sondern auch in den Forschungsnetzwerken Energie aktiv und bekommen dadurch einen guten Überblick über die deutsche Solarforschung. Welchen Beitrag kann die deutsche Energieforschung, insbesondere im Bereich erneuerbarer Energieerzeugung und -speicherung, ganz konkret bis 2045 leisten?
Wir sehen in unserem Bereich einen enormen Bedarf, die Wärmeversorgung der Industrie auf nachhaltige Lösungen umzustellen. Nach unserer Einschätzung wird das nicht mit einer Technologie funktionieren, sondern wir brauchen einen Mix, um die Versorgung kostengünstig und vor allem zuverlässig zu gestalten. Das macht die Systeme etwas komplexer in Aufbau und Betrieb und das wird nur funktionieren, wenn die verschiedenen Technologien auf der Systemebene eng zusammenarbeiten. Aber genau das traue ich der Energieforschung in Deutschland zu.
Das heißt, hier müssen Einzelmaßnahmen, wie sie auch die Roadmap beschreibt, sektorübergreifend zusammenkommen?
Genau das muss passieren. Als konkretes Beispiel möchte ich die regenerative Wärmeversorgung eines Fernwärmenetzes nennen. Hier ist es sinnvoll, Wärmepumpen, Solarthermie und saisonale Wärmespeicher zu kombinieren. So etwas gibt es heute in Deutschland noch nicht. Wir arbeiten hier mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Instituten zusammen, um ein solches Konzept gemeinsam mit einem Stadtwerk umzusetzen.
Solarsysteme brauchen viel Sonne – Deutschland bot zuletzt vor allem Regen. Wie sehen Sie Deutschlands solare Zukunft und können wir Solarenergie auch importieren?
Helmholtz Energy
Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren ist die größte deutsche Organisation zur Förderung und Finanzierung der Forschung. Im Forschungsbereich Helmholtz Energy haben sich sechs Zentren zusammengeschlossen, um in vier Programmen Energiequellen und –systeme der Zukunft zu erforschen.
Ich sehe das Ganze als Teil eines Technologiemixes – dessen Sinn es ist, genau diese „Risiken“ zu minimieren. Sonne und Wind zum Beispiel ergänzen sich oft zeitlich. Die Speicherung von Energie, insbesondere in Form von Wärme, hat hier ein noch weitgehend ungenutztes Potenzial. Für die verbleibenden Lücken brauchen wir dann vielleicht noch grüne Brennstoffe. Viele Expertinnen und Experten gehen heute davon aus, dass wir einen Großteil solcher Brennstoffe, etwa in Form von grünem Wasserstoff, aus sonnenreichen Ländern importieren müssen, weil wir hier nicht genügend Flächen dafür zur Verfügung haben.
Für die Roadmap haben Sie nicht nur in einem großen Autorenteam gearbeitet, über weitere 100 Forscherinnen und Forscher haben Sie unterstützt – können Sie uns einen Einblick in diese Zusammenarbeit geben?
Tatsächlich war ein wichtiges Ergebnis des Prozesses, allen Beteiligten einen Überblick zu verschaffen, wo welche Themen bearbeitet werden. Am Helmholtz-Energieforschungsprogramm sind fünf Helmholtz-Zentren mit weit über 2000 Personen beteiligt. Wir haben im Autorenteam die Aktivitäten nach den oben genannten Sektoren Strom, Wärme, Kraftstoffe etc. strukturiert und dort versucht, die relevanten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu identifizieren. In diesen Gruppen haben wir dann Workshops organisiert, um die jeweiligen Herausforderungen zu erarbeiten. Ich kann sagen, dass ich jetzt auch viel besser weiß, wo welcher Experte oder welche Expertin für welches Thema sitzt und ich kann sie viel leichter ansprechen.
Das Interview führte Peter Jung, Wissenschaftsjournalist vom Projektträger Jülich