Ressourcenexergieanalyse - eine neue Methode für den Vergleich von Energiesystemen
Mit immer mehr treibhausgasneutralen Technologien stößt die Analyse von Primärenergieverbräuchen an ihre Grenzen. Der Forscher Dr. Andrej Jentsch wirbt für einen neuen Ansatz, der nicht nur die Primärenergie, sondern auch Energiequalität und somit die Exergie betrachtet.
Klimaziele zu formulieren ist einfach, das kann jeder Staat und jedes Unternehmen. Die entsprechenden Hebel sind auch bekannt: emissionsarme Technologien einführen und fossile Brennstoffe ersetzen. Welchen Pfad man aber nun genau einschlagen soll, darüber wird oft und heftig gestritten. Dabei wäre das vielleicht gar nicht nötig. Die Ressourcenexergieanalyse, auch Ressource Exergy Analysis (REA), könnte zeigen, mit welcher Technologie nicht nur Klimaschutz, sondern auch Nachhaltigkeit am besten erreicht werden kann.
„Das ideale Energiesystem werden wir ohnehin nie haben“, erklärt Dr. Andrej Jentsch von der AGFW-Projekt GmbH, einer Tochter des Energieeffizienzverbands für Wärme, Kälte und KWK. Jentsch hat die REA federführend mitentwickelt und beschäftigt sich seit 2010 mit ihrer praktischen Anwendung. „Es gibt immer Verluste“, sagt er. „Die Frage ist nur, welche Verluste können wir akzeptieren, weil wir keine bessere Alternative haben, und wo ist es Verschwendung.“
Jentsch ist davon überzeugt, dass mit sinkenden Emissionen die Ressourcenschonung relevanter wird. „Energie in Form von Umweltwärme haben wir genug auf der Welt – nutzbare Energie hingegen sollten wir sparsam einsetzen und dann gut nutzen.“ Diese nutzbare Energie nennen Experten auch „Exergie“. Genauer gesagt ist die Exergie das Produkt aus Energie und ihrer Qualität.
Die Exergieanalyse ist entsprechend ein Ansatz, der besser als Energieanalysen zeigt, wie nah eine tatsächliche Leistung ans Idealbild heranreicht. Darüber hinaus betrachtet sie die Gründe für thermodynamische Verluste – und die Stellen, an denen sie auftritt.
Ressourcen bei Exergieanalysen mitdenken
Jentsch hält diesen Ansatz aber für ausbaufähig, denn neben der Exergie sollten alle Umwelteffekte durch Ressourcenverbrauch Teil einer umfassenden Betrachtung sein. Deshalb hat er die Ressourcenexergieanalyse (REA) entwickelt. Diese erlaubt es, auf die Bewertung der Erneuerbarkeit zu verzichten. „Die Idee der ‚Erneuerbaren‘ ist nicht abschließend hilfreich. Palmöl von Plantagen, welche Regenwald ersetzen, wird auch als erneuerbar gewertet, obwohl hier große Umwelt- und Klimaschäden entstehen. Besser ist es, sich an Nachhaltigkeit durch Verringerung der Treibhausgasemissionen und des Ressourceneinsatzes anzunähern.“
Eine Kernthese der REA ist, dass in der Übergangszeit zu einem idealen, emissionsfreien Energiesystem alle vermeidbaren Verluste durch endliche Ressourcen (und meist fossile Brennstoffe) ausgeglichen werden müssen – und dass Verschwendung einen großen Teil dieser Verluste verursacht. Warum, zeigt das Beispiel des Wasserstoff-Heizkessels: Wenn dieser rund viermal mehr emissionsfreie Ressourcenexergie als eine Wärmepumpe verbraucht, werden viermal mehr Erzeugungsanlagen, etwa für Windenergie, für die Bereitstellung der Wärme benötigt. Diese stehen dann nicht mehr für andere Stromverbraucher zur Verfügung und die Lücke muss aus bestehenden, überwiegend fossilen Kraftwerken gedeckt werden. So steigen durch Ressourcenverschwendung auch bei sonst treibhausgasneutralen Technologien die Gesamtsystememissionen.
Was ist nun sinnvoller: Wasserstoff in einer KWK einsetzen oder lieber nach Tiefengeothermie bohren? Die REA wäre ein geeignetes Werkzeug, um hierauf eine Antwort zu finden.
Die Ressourcenverschwendung zu verringern ist für Jentsch genauso wichtig wie die Reduktion von direkten Treibhausgasemissionen. „Alle Energieformen und Ressourcen aus der Umwelt lassen sich in Exergie umrechnen“, erklärt Jentsch. „Wir leben umgeben von Chemikalien, die sich selbst im Idealfall nur mit einem gewissen Aufwand konzentrieren oder verdünnen lassen. Dieser Aufwand lässt sich dank der Exergie vergleichen.“
Ressourcenexergieanalyse lässt sich auf viele Bereiche anwenden
Klingt vielleicht etwas abstrakt, leuchtet aber im konkreten Fall oft ein. So scheint es wenig sinnvoll, Kohle abzubaggern, zu verbrennen, daraus Nutzenergie mit hoher Qualität in Form von Strom zu erzeugen, um diese in einen Durchlauferhitzer zu schicken, der das Duschwasser von 17 auf 38 Grad erhöht. Die Verluste sind immens.
„Es gibt beim Nutzenergiebedarf Energie mit hoher Qualität, etwa Strom und welche mit niedriger Qualität, wie wir sie etwa bei der Raumwärme sehen“, erklärt Jentsch. „Schauen wir uns den Stromverbrauch in Haushalten an, hat dieser eine hohe Energiequalität. Der Ressourceneinsatz für die Wärmeversorgung ist aber manchmal gar nicht viel geringer.“ Dass Heizungen und Verbrennungsmotoren Brennstoffe ineffizient nutzen, ist bekannt – werde oft aber nicht angemessen berücksichtigt, erklärt Jentsch. „Auch bei der Bereitstellung von Strom lohnt sich ein genauer Blick: Beispielsweise bei der Stromerzeugung aus Tiefengeothermie. Hier ist die Wärme selbst die Ressource. Damit unterscheidet sie sich von konventionellen Kraftwerken, die Brennstoffe als Ressource nutzen. Diese Unterschiede werden bei Betrachtung der Ressourcenexergie vollständig berücksichtigt.“
Die Anwendung der REA ist grundsätzlich nicht schwieriger als die Anwendung bestehender Bewertungsmethoden wie der Primärenergieanalyse. Das wird unter anderem im neu erschienenen „REA - Berechnungsleitfaden für Energiesysteme einschließlich Fernwärme und Fernkälte“ deutlich. Allerdings müsste man normalerweise vor Ihrer Anwendung erst die Berechnungsgrundlagen erlernen und sich an die neue Sichtweise gewöhnen. Um das Verständnis für die REA zu verbessern, hat Jentsch daher zusammen mit anderen Forschern und Praxispartnern den Exergieausweis entwickelt, der ähnlich wie der Energieausweis für Gebäude eingesetzt werden kann. „Damit hat man ein Werkzeug, um die Ressourcenexergieanalyse zu visualisieren. Also, man kann sehen, in welcher Dimension Verluste auftreten, Bedarf und Versorgung gegenüberstellen und effiziente Lösungen finden.“ (Wie das aussehen könnte, sehen Sie oben in der Galerie.) Für besonders einfache Anwendbarkeit steht mit Exergieausweis Online bereits ein Softwareprototyp bereit, der es erlaubt, die REA für viele Energiesysteme automatisch durchzuführen und mittels Exergieausweisen zu visualisieren.
Nutzungskaskaden sorgen für Mehrfachnutzung von Energie
Einsparungen sind in der Exergieanalyse in drei Richtungen möglich: einmal das klassische Energiesparen, dann die Reduktion von externen Verlusten durch eine bessere Energieausnutzung und schließlich eine optimierte Energienachnutzung. Das bedeutet, dass sich die Energiequalität an das benötigte Niveau anpasst. „Ein gutes Beispiel ist die Kraft-Wärme-Kopplung“, erklärt Jentsch. „Dadurch, dass die unvermeidbare Abwärme aus der Stromerzeugung genutzt wird, steigt der Wirkungsgrad. Und ein Haushalt, der den Strom für die Beleuchtung und den Herd nutzt, aber Wasser und Heizung im Wesentlichen mit der Abwärme-Energie bestreiten kann, ist deutlich ressourcenschonender.“ So könnten sich auch Kaskaden ergeben. Ein Stahlwerk könnte dank grünem Strom mit hohen Temperaturen schmelzen, die Hochtemperaturabwärme ans benachbarte Chemiewerk weitergeben, dieses koppelt wiederum die Niedertemperaturwärme an ein Fernwärmenetz aus und so weiter.
So lässt sich mit der Ressourcenexergieanalyse auch ein Problem lösen, das aktuell viel diskutiert wird: Welche klimaneutrale Technologie ist sinnvoller, wenn mehrere zur Auswahl stehen? Das erlaubt dann auch echte Technologieoffenheit. Nach einem Vergleich mit REA und Treibhausgasanalyse kann fundiert festgelegt werden, welcher Transformationspfad im konkreten Fall der vielversprechendste ist. So wird mit der REA zum Beispiel sehr deutlich, dass ein eigentlich klimaneutraler Wasserstoff-Brennwertkessel wesentlich mehr Verluste erzeugt als ein innovatives klimaneutrales Niedertemperatur-Wärmenetz mit Großwärmepumpen und Wasserstoff-KWK. Hier gerät die klassische Primärenergieanlyse an ihre Grenzen. Ein Blick auf die Ressourcenexergie könnte künftig helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. (pj)